Rant gegen die Presse

„Und?“ fragte er schon beim Betreten meines Geschäfts „was sagen Sie zur Wahl?“. Gleich darauf saß er auf meinem Behandlungsstuhl, reckte mir die nackten Füße entgegen und legte los: „Unglaublich enttäuschendes Ergebnis! Das sind doch Themen, die alle angehen! Die haben das einfach nicht verstanden! “ Zur Klarstellung: er redete nicht von den Piraten, er redete von der Rentnerpartei, pardon, inzwischen Bündnis 21 – RRP, für die er in den Wahlkampf gezogen ist und die mit 0,1 Prozent nur wenige Stimmen bei der Landtagswahl in Niedersachsen für sich gewinnen konnte.

„Die Presse hat uns nicht unterstützt, nicht positiv über uns berichtet“ klagte er – „Das ist auch nicht ihr Job“ hatte ich schon gesagt, bevor mir klar wurde, dass ich mir den Schuh genauso anziehen muss, wie ihm (um mal bei den Füßen zu bleiben). Wie oft habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten gehört und selbst gesagt, dass die Presse nicht angemessen über uns berichtet. So viele tolle Inhalte, die wir zu vermitteln haben, so viele Aktionen, und über was berichtet die Presse: Skandälchen, Streitigkeiten im Vorstand, einzelne Querschläger innerhalb der Partei. Insgesamt aber eher wenig, fast musste man an das 1. Hagenbäumersche Gesetz denken: Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben, wir konnten ja froh sein, wenn überhaupt über uns geschrieben wurde, und wir nicht in verschiedenen Berichterstattungen vollständig außen vor gelassen wurden.

Dabei gab es eine Zeit, da wurde viel über uns berichtet. Nach der Wahl in Berlin waren wir eine aufstrebende, junge Partei, wir waren interessant. Besonders interessant war dabei, dass wir Fehler gemacht haben, denn unser nicht perfektes Verhalten auch der Presse gegenüber war letztlich mehr Thema, als die Inhalte und Ziele unserer Politik. Berichtet wird das, von dem die Redakteure vermuten, dass es gerne gelesen, gesehen oder gehört wird, und das sind eben die Skandale und nicht die fleißige und kontinuierliche Parteiarbeit. Damit sind wir nicht alleine, das Schicksal teilen wir mit allen, über die in der Presse berichtet wird: von jedem Star oder Sternchen wird positiv vielleicht gerade noch über die Hochzeit oder das erste Kind berichtet (immer schon mit der Frage zwischen den Zeilen, wie lange diese Ehe wohl hält), wirklich Schlagzeilen machen jedoch Alkoholexzesse, Ausfälle vor Publikum und krachende Misserfolge.

Wir waren natürlich trotzdem geschmeichelt von der Aufmerksamkeit und bemüht, die Ansprüche der Presse zu erfüllen. Wir brauchen eine professionelle Pressearbeit, müssen hier den Ansprüchen genügen? Aber sicher, wir haben unsere Pressesprecher geschult, ihnen beigebracht, wie eine Pressemitteilung formuliert werden muss und wie man die Pressevertreter angemessen betreut. Wir haben Vorständen und Kandidaten erklärt, wie sie sich der Presse präsentieren und wir haben gelernt, uns so zu äußern, wie man es von uns erwartete. Damit entfiel der erwartete Skandalfaktor und auch ein guter Teil der Aufmerksamkeit der Presse. Wir wollten damit zeigen, dass es uns um Inhalte geht, aber der Presse haben wir damit nicht mehr die erwarteten Bilder geliefert.

Wir sind sogar noch weiter gegangen. „Die haben doch gar kein Programm“ hieß es. Immer wieder gern wiederholt, wer hat noch nicht am Infostand gestanden, das Programm in der Hand, und bekam diesen Satz zu hören? „Sagen die in der Presse immer…“ Also haben wir uns daran gemacht, unser Programm zu erweitern. Weil es ja schnell gehen musste, haben wir das in alle Richtungen gleichzeitig gemacht. Wir haben keinen Standpunkt zum Euro, können zur Wirtschaftspolitik nichts sagen? Doch, jetzt schon. Aber egal, wie sehr wir unser Programm erweitert haben, es gab und gibt immer noch Bereiche, in denen haben wir kein Programm, dazu gibt es noch kein offizielles Statement. Wenn wir zum Euro etwas sagen können, dann werden wir eben nach dem Einsatz von deutschen Soldaten in Afghanistan gefragt und wenn wir auch dazu einen Standpunkt haben, dann eben zu den Vorkommnissen in Syrien. Es findet sich etwas, wozu wir nichts sagen können, und die Schlussfolgerung ist klar: kein Programm!

Was wir verloren haben, bei dem Versuch, es allen und vor Allem der Presse recht zu machen, das ist der Wiedererkennungswert, die klaren Grundsätze. Wir haben jetzt zu ganz vielen Themen etwas zu sagen, aber viele unserer Punkte findet man auch in anderen Programmen. Wir werden gefragt, wofür wir stehen, und fangen an aufzuzählen: Bürgerbeteiligung, Transparenz, Stärkung der Bürgerrechte, soziale Teilhabe, nachhaltige Umweltpolitik und noch viel mehr. Wenn ich an die großen und bekannten Parteien denke, dann fällt mir zu jeder Partei ein einzelnes ganz klares Merkmal ein: Grüne? Die mit der Umwelt! – SPD? Arbeiterpartei! – Linke? Links! – CDU? Ok, lassen wir das…

Piraten? Die mit dem Internet? Das wäre eine Möglichkeit, aber nur das wollen wir nicht sein. Bürgerrechtspartei? Gut, aber woran ist das erkennbar? In Programmparteitagen erweitern wir unser Programm. Wir diskutieren über Programmanträge, stimmen zu oder lehnen ab, wir nehmen immer neue Programmpunkte auf und verkünden hinterher zufrieden, wir hätten unser politisches Profil geschärft. Scharf ist etwas aber nicht, wenn es endlos verbreitert und ausgeweitet wurde. Scharf ist ein Programm nur dann, wenn es genau auf den Punkt kommt, nicht erweitert wurde, sondern verfeinert. Ich habe gar nichts dagegen, dass unser Programm größer wird, umfassender. Aber wir brauchen klare Punkte, an denen wir wiedererkennbar sind, die die Menschen nur mit uns in Verbindung bringen und uns ganz klar zuordnen. Ich würde mir wünschen, dass wir zur Bundestagswahl mit höchstens fünf ganz knappen und sprachlich zugespitzten Thesen in den Wahlkampf ziehen. Fünf Schlaglichter, die man nur mit uns in Verbindung bringt. Teilweise haben wir diese schon, wir müssen sie nur noch etwas verfeinern, ich denke da etwa an „1984 war nicht als Anleitung gedacht“.

„Wenn die Presse dann schon mal berichtet, dann auch noch falsch“ lautet der nächste Stoßseufzer. Da planen wir eine tolle Aktion zum fahrscheinlosen Nahverkehr, versammeln viele Piraten und statten sie mit blauen Westen und Flyern aus, der BuVo kommt zum Helfen und auch die Presse ist zahlreich vertreten, wir freuen uns über die Aufsehen erregende Aktion und dann? „Piraten fahren schwarz“ geistert tagelang durch die Presse. Was ist passiert? Fahrscheinlos bedeutet nicht kostenlos, das ist uns allen natürlich klar. Wir wollen nicht alle zu Schwarzfahrern machen, wir fordern einen umlagefinanzierten ÖPNV – nur leider ist das bei der Presse und der Öffentlichkeit offenbar nicht so angekommen, wie wir es uns gedacht haben. Sicherlich eine unserer Schwachstellen: nur, weil es für uns ganz klar ist, ist es das für alle anderen nicht. Nicht die Presse war zu doof, wir haben es nicht gut genug erklärt. Lektion gelernt: beim nächsten Mal müssen wir genauer darauf achten, was wir erklären und welches Bild wir dabei vermitteln.

Viel wichtiger als das Presseecho ist aber letztendlich: die meisten von uns sind bei den Piraten, um Politik zu machen, nicht um die Presse zu bespaßen. Der machen wir es ohnehin am ehesten Recht, wenn wir Skandale produzieren und uns gegenseitig zerfleischen. Aber mal ehrlich: wann haben wir das letzte Mal einen positiven Bericht über die thematische Arbeit der SPD gelesen? Auch da sind Personalquerelen viel interessanter. Was wir vermitteln möchten, was wir unter das Volk bringen wollen, das können wir auch ohne die Presse schaffen. Wir sind doch die mit diesem Internet-Dingens. Wir sind die, die bloggen, twittern, netzwerken. Wir sollten die sein, die es auch dann schaffen, Themen groß zu kriegen, wenn die Presse sie nicht verbreiten will. Wenn wir unsere Themen wichtig genug machen, dann kommt die Presse von alleine. Lasst uns unsere Spielregeln festlegen, unsere eigenen Wege finden, die Presse kommt dann schon nach.

Tagged , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

3 Antworten zu Rant gegen die Presse

  1. Kevin sagt:

    Guter Blogpost. Genau meine Meinung dazu. Außerdem könnten wir mehr auf vergleichende Werbung setzen.

  2. Bernhard sagt:

    Moin Ylva,

    sich als Internet-Partei zu positionieren als erstes Ausstellungsmerkmal finde ich prima. Wenn derjenige, der dieser Kernkompetenz folgt feststellt, dass sich dahinter noch weit mehr auch im RL verbirgt – um so besser!

    Sollten die Internet-soll-frei-für-alle-bleiben Junkies ihr Thema nicht stärker positionieren können und andere Parteien, z.B. die Grrrrrünen, fundiertere Arbeit auf diesem Gebiet machen werden, leiden auch alle anderen Themen wie z.B. BGE darunter bzw. werden übernommen.

    Auch ich glaube, dass es ohne die journalistischen Schmierfinken geht – es gibt genug sachliche, auch im Kommentar faire Berichterstatter, die gezielt ausgewählt/ zitiert werden können. Wer zu den einschlägigen Feinden der Partei rennt, diese zum Essen und anderen Veranstaltungen läd muß sich nicht wundern, wenn er das Messer im Rücken nicht mehr los wird..;)

    „Wir sind die, die bloggen, twittern, netzwerken. Wir sollten die sein, die es auch dann schaffen, Themen groß zu kriegen, wenn die Presse sie nicht verbreiten will.“
    Das geht! Aber ob alle „Köpfe“ das wollen, wenn sie nicht mehr mit Ihrem Schädel auf Gazettenseiten zu sehen sind? Ob die Eigenliebe nicht doch immer größer ist als zum gemeinsamen Ganzen, der Partei?

    Sonnige Grüße,
    Bernhard