Hartz 4 – TV und das Menschenbild

Gelegentlich sitze ich nachmittags arbeitend am Computer und manchmal läuft dann der Fernseher nebenher. In den letzten Wochen habe ich das Programm am Nachmittag mit zunehmendem Entsetzen verfolgt. Sendungen wie „Mitten im Leben“ oder „Famlien im Brennpunkt“ vermitteln ein Menschenbild, dem jeder Respekt fehlt. Aber auch im Abendprogramm nehmen Sendungen wie „Teenie-Mütter“ oder „Die Anwältin der Armen“ zu. All diesen Sendungen gemeinsam ist, dass es fast ausschließlich um Hartz4-Empfänger geht. Und diese sind allesamt asozial, wenig intelligent und, falls weiblich, unglaublich naiv. Manchmal wird auch noch eine wohlhabende Familie als Gegenpol inszeniert.

Bestes Beispiel: Das Tauschexperiment. Keine Ahnung mehr, in welcher der Serien das auftauchte. Der einfache und bewährte Inhalt: zwei Teenager tauschen für eine Woche die Familie.

Familie 1: Die Mutter ist alleinerziehend und lebt mit der Tochter und dem Sohn von Hartz4 in einer Plattenbausiedlung.

Familie 2: Die Mutter ist Verkäuferin, der Vater Handwerker, die beiden leben mit den beiden Töchtern in einem schicken Einfamilienhaus mit Pool im Garten.

Soviel zu den Grundvoraussetzungen. Und natürlich wird das Klischee noch weiter ausgeschlachtet:
Die Tochter von Familie 2 möchte Verkäuferin werden und lernt dafür fleissig mit Unterstützung ihrer älteren Schwester, die ihr Nachhilfe in Englisch gibt. Die Tochter von Familie 1 möchte berühmt werden, um viel Geld zu verdienen. Mit dem Bruder gibt es nur Streit.
Die Tochter von Famlie 2 möchte shoppen gehen und fragt ihre Mutter, ob sie mitkommt. Die stellt lachend fest, dass sie wohl vor allem bezahlen soll und geht gerne mit ihrer Tochter zum Einkaufsbummel. Die Tochter von Familie 1 geht mit ihrer Mutter zur Aufbesserung des Budgets Flaschen sammeln. Sie möchte sich gerne Schokolade kaufen, aber die Mutter ermahnt sie, das Geld ist für die Ausbildung der Tochter gedacht und darf nicht leichtfertig für Schokolade ausgegeben werden.

Beide Töchter packen ihre Sachen für den Aufenthalt in der Tauschfamilie, Tochter 1 in Discounter-Plastiktüten, Tochter 2 in einen Designer-Koffer. Dann geht es los. Tochter 1 in Familie 2 ist völlig begeistert von dem sie umgebenden Luxus. Tochter 2 bei der Alleinerziehenden Mutter ist dagegen entsetzt: alles ist furchtbar dreckig. Das scheint überhaupt das hervorstechende Merkmal zu sein, wenn jemand Hartz 4 bezieht: gleichzeitig mit dem Verlust eines festen Arbeitsplatzes geht offensichtlich jeder Sinn für Ordnung und Sauberkeit verloren. Familie 2 jedenfalls kümmert sich liebevoll um Tochter 1 und schafft es, dass diese ihre überzogenen Träume aufgibt und sich auf einen realistischen Traum konzentriert: sie will jetzt Köchin werden. Als Abschiedsgeschenk erhält sie deshalb ein Kochbuch von ihrer Tauschfamilie. Hach, wie herzig!
Tochter 2 in Familie 1 dagegen kümmert sich um ihre Tauschmutter, bringt diese dazu ihre Wohnung zu putzen und sich mit ihrer selbstverständlich verfahrenen Situation auseinander zu setzen, so dass Mutter 1 ihr Leben in Zukunft in die Hand nehmen will, sich einen Job suchen wird und die Wohnung mit Hingabe sauber halten.  Achja, und zum Zahnarzt wird die ganze Familie gehen, denn Hartz 4-Empfänger sind immer leicht zu erkennen: Zahnlücken und schiefe Zähne kennzeichnen Sie schon von Weitem, ganz im Gegensatz zum perfekten Gebiß der Wohlhabenden. Tochter 2 hat immerhin gelernt, dass es anderen Familien schlechter geht als ihrer eigenen.

Das Ende vom Lied wie in jedem Märchen: das Gute hat gesiegt, alle Schwierigkeiten sind beseitigt und die Bösen, na gut, die Armen werden sich bessern und ein anständiges Leben führen. Friede, Freude, Eierkuchen…. nur Fernab jeder Realität.

Das Menschenbild, dass uns die Sender dabei vermitteln, empfinde ich als absolut menschenverachtend. Da wird auf Teufel komm raus pauschalisiert und ein Klischee jagt das nächste Vorurteil. Wer Hartz 4 bezieht ist zu faul zum Arbeiten, bekommt sein Leben nicht in den Griff, ist faul, dumm, asozial und selbstverständlich dreckig, ungepflegt und hässlich. Wer dagegen seiner Arbeit nachgeht, der kann in Saus und Braus leben, den Kindern alle Wünsche erfüllen und blickt in eine rosige Zukunft.

Eine schöne Sicht der Dinge – schön einseitig vor Allem. In den Zeiten von Arbeitslosigkeit, wo eben nicht für jeden, der arbeiten will, auch Arbeit da ist, wo um die Erhöhung von Hartz 4-Sätzen um fünf ganze Euro über Wochen und Monate hinweg gestritten wird, wo das Verfassungsgericht feststellt, dass die Berechnung der Hartz 4-Sätze nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist und die gewählten Vertreter unseres Volkes die grundlegenden Bedingungen für die Berechnung einfach so lange verdrehen und verwinden, bis passend gemacht ist, was eben nicht passt, in solchen Zeiten wollen wir uns ernsthaft auf eine solche Art der Stimmungs- und Meinungsmache einlassen? Können und wollen wir Menschen derartig ausgrenzen, weil wir nicht genug Arbeit für alle haben? Für wie dumm und beeinflussbar halten uns die Sender, dass sie uns diese Sammlung plattester Vorurteile so geballt vorsetzen?

 

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