Wahlprogramme lesen – alles andere ist Werbung

Seit dem Wochenende ist es nun auch offiziell bekannt, das CDU-Wahlprogramm zur Bundestagswahl, selbstbewusst bis zur Ignoranz vorgestellt als „Regierungsprogramm“. Bereits das Lesen des Vorworts von Merkel und Seehofer ist für Diabetiker mit Vorsicht zu genießen, ein Zuckerschock droht. So viel rosarote und zuckersüße Verklärung der bisherigen Erfolge der schwarz-gelben Regierungskoalition sind nur schwer zu ertragen, einem Realitäts-Check halten sie nicht stand.

einige Aussagen aus dem Vorwort

Das fängt schon ganz weit vorne an, auf Seite 3: „Europa und der Euro kommen voran.“ heißt es da ganz selbstverständlich und der Leser fragt sich automatisch, ob die Krisen in verschiedenen Euro-Ländern wie Griechenland, Spanien usw. an Frau Merkel wohl unbemerkt vorbei gegangen sind. Kann doch wohl nicht…?

Auf Seite 6 geht es dann um „unsere erfolgreiche Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik“. Da werden sinkende Arbeitslosenzahlen angeführt und die große Zahl der Menschen hervor gehoben, die einen Arbeitsplatz haben. Was für ein Arbeitsplatz das ist und wie viele dieser Menschen davon in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu menschenunwürdigen Bedingungen verheizt werden, wird vorsichtshalber gar nicht erst erwähnt.

Dieser Stil zieht sich durch. Es geht besonders um Europa und um Arbeit für alle (jedoch ohne konkret anzuführen, wie sich technologischer Fortschritt und Vollbeschäftigung vertragen könnten). Es geht auch darum, „dass die Menschen sicher und vor Kriminalität geschützt leben können.“ (Seite 5). Wie das gehen soll? Na klar, wie so etwas immer geht, durch Überwachung: „Deshalb wollen wir auch um Gewalt und Diebstähle abzuwehren sowie zur Aufklärung von Straftaten, den Einsatz von Videotechnik an Brennpunkten wie etwa auf Bahnhöfen verstärken.“ (Seite 9). Keine Rede natürlich vom Schutz der Privatsphäre, Unschuldsvermutung und ähnlichen Themen.

Das Internet: doch kein Neuland?

Tatsächlich hat auch das Internet Eingang in das Wahlprogramm gefunden: „Das Internet und die digitale Technologie prägen unser Leben. Smartphones und Tablets sind heute aus dem alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Das Internet ist ein Wachstumstreiber für unsere Wirtschaft.“ (Seite 8). Guck an, es ist ja gerade erst eine Woche her, dass Frau Merkel verkündete, das Internet wäre für uns alle Neuland. Eine Woche später schon ist es aus unserem alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Dass es stärker kontrolliert, überwacht und reglementiert werden soll, das erwähnt sie vorsichtshalber nicht, obwohl sie letzte Woche auch erst betonte, wie sehr wir auf die Ergebnisse der Internetüberwachung durch das amerikanische Überwachungsprogramm PRISM angewiesen sind.

Vergeblich gesucht habe ich im Programm von CDU und CSU Standpunkte zur Situation derer, die von Niedriglöhnen leben, aufstocken oder von Arbeitslosengeld II leben müssen. Diese kommen im rosaroten Deutschlandbild der Schwarzen schlicht nicht vor. Erwähnt werden nur Mittelstand, Handwerker und Industrie. Von sozialer Marktwirtschaft ist wohl die Rede, auch von einer starken Wirtschaft aber nicht von einer sozialen Gesellschaft. Von Verantwortung für Betriebe und Unternehmen, auch für Familien, aber nicht für den einzelnen Menschen.

Das Feindbild ist rot-grün…

Auffällig im Wahlprogramm ist auch das fortgesetzte und wenig sympathische Bashing gegen rot-grün. Gipfelnd in Aussagen, die zumindest zweifelhaft sind: „In der Regierungszeit von Rot-Grün war die Schere zwischen den unteren und oberen Einkommen auseinandergegangen. In den letzten Jahren konnte diese Entwicklung gestoppt werden und die Schere beginnt sich wieder zu schließen.“ (Seite 23). Muss wohl an meiner fehlerhaften Wahrnehmung liegen, dass ich ein Schließen nicht sehe.

…und die FDP ist raus

Während die derzeitige Opposition also eine volle Breitseite erhält, wird der jetzige Koalitionspartner mit keinem Wort erwähnt. Früher gab es in den Wahlprogrammen eine ganz klare Aussage für die Bildung der Regierung, zuletzt auch zur Landtagswahl in Niedersachsen. Nicht zuletzt das dürfte zu der hohen Anzahl an Leihstimmen und das dadurch unerwartet gute Ergebnis der FDP bei der Landtagswahl verantwortlich gewesen sein. Scheinbar hat das dem Präsidium doch zu viel Angst gemacht, so dass sie sich durch diese Nicht-Erwähnung deutlich von der FDP distanziert haben. Mögliche Koalitionen in alle Richtungen, auch schwarz-grün, bleiben so offen.

Ich frage mich, wie viele Mitglieder der CDU dieses Wahlprogramm, pardon „Regierungsprogramm“ wirklich gelesen haben. Stehen Sie zu dieser rosaroten Realitätsverklärung? Ich fürchte ja, viele werden das Programm nicht gelesen, häufig nicht einmal überflogen haben. Fragt doch mal euren Bundestagsabgeordneten oder den entsprechenden Kandidaten für euren Wahlkreis. Ich bin gespannt was sie Euch antworten werden.

Aber auch die Frage an Euch, liebe Piraten: kennt Ihr denn unser Wahlprogramm? 😉

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